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J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Ich schaue gerne ganz genau hin und heute auf den Titel des Kata­logs von J.S. STAEDTLER aus dem Jahr 1919, der hier schon mehr­mals im Mit­tel­punkt stand. Dies­mal geht es jedoch nicht um die Pro­dukte, son­dern um die Gestaltung.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Gesetzt wur­den diese Seite und große Teile des Kata­logs in der Beh­rens Anti­qua, die der Künst­ler Peter Beh­rens um 1902 ent­wor­fen hat und laut MyFonts bei der Gie­ße­rei Rud­hard in Offen­bach erhält­lich war. (Als Anbie­ter einer digi­ta­len Vari­ante wird Solo­type genannt, aber die­ser feh­len u. a. die Text­zif­fern und die Liga­tu­ren; zudem ist sie ver­gleichs­weise kantig.)

Die Beh­rens Anti­qua und ihre Ver­wen­dung in die­sem Kata­log gefal­len mir außer­or­dent­lich gut. Hier zum Bei­spiel hat man zur bes­se­ren Les­bar­keit statt des ver­sa­len I ein J genommen.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Einige Ver­sa­lien haben Unterlängen.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Text­zif­fern tra­gen zur Attrak­ti­vi­tät bei.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Gut mög­lich, dass die Jugendstil-Ornamente auch von Peter Beh­rens stammen.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Die Blatt­mitte ziert eine Abbil­dung des bis Ende 1988 genutz­ten Staedtler-Werkes in der Nürn­ber­ger Innen­stadt. Ein Groß­teil wurde abge­ris­sen, doch im ehe­ma­li­gen Verwaltungs­gebäude befin­det sich heute das Finanzamt.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Unge­wöhn­lich sind auch die Anfüh­rungs­zei­chen und der Bindestrich.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Die Form des G finde ich beson­ders bemerkenswert.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Schön: Die fi-Ligatur.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Das Genetiv-s war damals noch nicht ver­pönt. – Die Jah­res­zahl 1662 hat bereits zu eini­gen recht­li­chen Strei­te­reien geführt, doch an der ers­ten urkund­li­chen Erwäh­nung des Fried­rich Staedt­ler, einem Vor­fah­ren Johann Sebas­tian Staedt­lers, ist nicht zu rüt­teln. – Hier zu se­hen: Eine ch-Ligatur.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Unter dem 1900 ange­mel­de­ten Mar­ken­na­men „Mars“ lie­fen die Spit­zen­pro­dukte des Sortiments.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Das kleine g hat es eben­falls in sich.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Eine ft-Ligatur gab es offen­bar nicht.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

Der kleine Mond, dies­mal recht detail­liert und gar nicht so klein, ist selbst­ver­ständ­lich mit von der Partie.

J.S. STAEDTLER 1919 (8)

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Römisch Linkskursiv (2)

Man­che Dinge las­sen mir keine Ruhe, so auch die Frage nach der Her­kunft der auf topo­grafischen Kar­ten – und nur dort – ver­wen­de­ten Schrift „Römisch Links­kur­siv“1.

Römisch Linkskursiv (2)

Aus­schnitt der topo­gra­fi­schen Karte für Groß-Gerau (© Hes­si­sches Lan­des­ver­mes­sungs­amt 1997)

Die die­ser Schrift eigene Ästhe­tik hat es mir ange­tan2. Schon ein­mal habe ich etwas über sie geschrie­ben; in der Zwi­schen­zeit hatte ich das Glück, mehr zu erfahren.

Römisch Linkskursiv (2)

Aus­schnitt der topo­gra­fi­schen Karte für Groß-Gerau (© Hes­si­sches Lan­des­ver­mes­sungs­amt 1997)

Die links­ge­neig­ten Buch­sta­ben stam­men nicht immer aus typo­gra­fi­schen Satz­schrif­ten, son­dern wur­den beson­ders bei alten Kar­ten nur für diese gra­viert, gezeich­net oder geschrie­ben. Die typo­gra­fi­sche Erstel­lung der Kar­ten­be­schrif­tung wurde erst mit dem Foto­satz ren­ta­bel mög­lich; dass es die „Römisch Links­kur­siv“ bereits zu Zei­ten des Blei­sat­zes gab, darf bezwei­felt wer­den. – Den Pro­to­ty­pen eines Foto­satz­ap­pa­ra­tes ent­wi­ckelte Ing. Hugo Heine in den 1950er Jah­ren beim Braun­schwei­ger Westermann-Verlag. Die­ser Pro­to­typ wurde spä­ter von der H. Bert­hold AG zur Dia­typ wei­ter­ent­wi­ckelt und 1958 auf der DRU­PA vor­ge­stellt. Erwäh­nens­wert in die­sem Zusam­men­hang ist ein Kom­men­tar von Ste­phen Coles bei Typophile, in dem er Erik Spie­ker­mann zitiert:

These used to be the fonts car­to­graph­ers used. Left-leaning ita­lic for rivers, etc. They used to be engra­ved, thus the look. Bert­hold used to cre­dit them with the admi­nis­tra­tion respon­si­ble for the stan­dard, i.e. Baye­ri­sches Landes­vermessungsamt (Bava­rian Office for Land Regis­try or some­thing — the state car­to­gra­phy office). They’re really cool and i’ve been mea­ning to use them for years. I set maps with that stuff on a Dia­type, back in the 60s (i know, i know…)

Römisch Linkskursiv (2)

Aus­schnitt der Legende zur topo­gra­fi­schen Karte für Bad Karls­ha­fen (© Nie­der­säch­si­sches Lan­des­ver­mes­sungs­amt 1987)

Offen­bar gab es nicht nur eine links­kur­sive Kar­ten­schrift, son­dern ver­schie­dene, je nach Bun­des­land und zustän­di­gem Amt. Wer diese nie frei erhält­li­chen Schrif­ten gestal­tet hat, ist nicht über­lie­fert (Lino­type nennt daher ledig­lich „Ger­man Car­to­gra­phic Design“). In die digi­tale Zeit geschafft haben es nur zwei Schrif­ten mit gene­ri­schem Namen, näm­lich „Rö­misch“ und „Kur­siv­schrift“; von bei­den gibt es auch einen links­ge­neig­ten Schnitt.

Römisch Linkskursiv (2)

Römisch Rück­wärts Lie­gend (Lino­type)

Römisch Linkskursiv (2)

Kur­siv­schrift Rück­wärts Lie­gend (Lino­type)

Wer sich einige Ori­gi­nale anschauen möchte, wird im Mus­ter­blatt für die Topo­gra­fi­sche Karte 1:25000 fün­dig. Die­ses zeigt auf Seite 58 alle Vari­an­ten der links­kur­si­ven Schrift und macht Anga­ben zu ihrer Verwendung.

Römisch Linkskursiv (2)

Schrift­mus­ter für Gewäs­ser­na­men (Aus­schnitt des Mus­ter­blatts für die Topo­gra­fi­sche Karte 1:25000; Lan­des­ver­mes­sungs­amt Nordrhein-Westfalen, 3. Auf­lage 1993)

Span­nend wäre ein Besuch der Biblio­thek des Georg-Eckert-Instituts in Braun­schweig, wo unzäh­lige alte Kar­ten ein­seh­bar sind. – Vie­len Dank an Indra Kup­fer­schmid, Flo­rian Hard­wig und Jür­gen Sie­bert für die inter­es­san­ten und hilf­rei­chen Details!

Nach­trag vom 21.9.12: Wei­ter geht’s unter „Römisch Links­kur­siv (3)“.

  1. Ich weiß nicht mehr, woher ich die­sen Namen habe. Auch wenn jetzt ein ande­rer viel­leicht bes­ser pas­sen würde, so behalte ich ihn wegen der Kon­sis­tenz bei.
  2. Nicht nur die Ästhe­tik die­ser Schrift, son­dern auch die der topo­gra­fi­schen Kar­ten all­ge­mein finde ich sehr reiz­voll. Schade, dass deren Gestal­tung nach und nach geän­dert wird und un­zählige schöne Details der Ver­ein­fa­chung zum Opfen fal­len.

Herr Zahl

Mir ist ein klei­ner Kerl ans Herz gewach­sen. Begeg­net bin ich ihm auf Seite 72 des Buches „deco­de­u­ni­code“1, wo er sich zusam­men mit sei­nen Kol­le­gen aus aller Welt prä­sen­tierte und mir sofort ins Auge fiel. Er wurde mir schlicht als „POSTAL MARK FACE“ vor­ge­stellt (sei­ne Berufs­be­zeich­nung, wie ich spä­ter erfuhr), und wenige Sei­ten spä­ter fand ich sein hei­teres Kon­ter­fei auf dem ihm zuge­wie­se­nen Platz U+3020 im Unicode-Standard.

Herr Zahl

Sein bür­ger­li­cher Name lau­tet ナンバー 君, denn er kommt aus Japan; über­setzt man die­sen, erhält man „Number-kun“ im Eng­li­schen und „Herr Zahl“2 im Deut­schen. Herr Zahl er­blickte 1968 das Licht der Welt und wurde schlag­ar­tig berühmt – so berühmt, dass ihm die japa­ni­sche Post gleich einige Brief­mar­ken wid­mete (die im Foto stam­men aus der Zeit zwi­schen 1968 und 1973).

Herr Zahl

Doch was war der Grund für sei­nen Ruhm? Es war die ver­ant­wor­tungs­volle Auf­gabe, die er unmit­tel­bar nach sei­ner Geburt über­nahm und die auch seine unge­wöhn­li­che Kopfbede­ckung erklärt.

Bis 1968 gab es in Japan keine Post­leit­zah­len. Als diese – zunächst drei­stel­lig – ein­ge­führt wur­den, brauchte man ein Sym­bol, das die Post­kun­den an den Gebrauch der ungewohn­ten Post­leit­zah­len erin­nert. Dazu nahm man das Zei­chen 〒3 und ergänzte es zu einem Ge­sicht; damit war Herr Zahl gebo­ren. Er nahm seine Auf­gabe 30 Jahre lang wahr und ging dann in den ver­dien­ten Ruhe­stand. Sein Nach­fol­ger im Amt war ポストン, Pos­ton, der 1998 die Umstel­lung auf die sie­ben­stel­li­gen Post­leit­zah­len beglei­tete und an ihre Verwen­dung gemahnte4.

Herr Zahl

Herr Zahl aber nimmt als Stem­pel auf mei­nem Schreib­tisch wei­ter­hin einen pro­mi­nen­ten Platz ein und erfreut mich beim Deko­rie­ren von Brief­um­schlä­gen und vie­lem mehr. – Offen­bar war auch der Ver­lag Her­mann Schmidt5 in Mainz, Her­aus­ge­ber des erwähn­ten Titels „deco­de­u­ni­code“, von Herrn Zahl sehr ange­tan, denn man hat ihm einen der dazu passen­den But­tons gewidmet.

Herr Zahl

Welch eine Karriere!

Nach­trag vom 20.6.13: Im Juli 1963, also vor 50 Jah­ren, trat Mr. Zip auf den Plan, um für den Gebrauch der US-amerikanischen Post­leit­zah­len, der ZIP-Codes, zu wer­ben: „Happy 50th Mr. Zip“ (via Brown Stu­dies).

Nach­trag vom 27.9.18: Mehr zum Zei­chen 〒 unter „The Story Behind Japan’s 〒 Pos­tal Logo“.

  1. Johan­nes Ber­ger­hau­sen, Siri Poar­angan: deco­de­u­ni­code – Die Schrift­zei­chen der Welt (Ver­lag Her­mann Schmidt 2011).
  2. Die des Japa­ni­schen Kun­di­gen mögen mir nach­se­hen, dass ich hier „-kun“ und „-san“ gleich­stelle; ich mache dies, weil wir im Deut­schen kein Pen­dant zu „-kun“ haben.
  3. Die­ses Zei­chen basiert auf der Katakana-Silbe テ (te), die sich vom Wort 逓信 (teis­hin), dt. Kom­mu­ni­ka­tion, ablei­tet. 〒 (Uni­code U+3012) ist das Bild­zei­chen der japa­ni­schen Post und wird zuwei­len der Post­leit­zahl vor­an­ge­stellt.
  4. Seine Dienst­mütze ist jedoch bei wei­tem nicht so schick, und die Ehre, im Unicode-Standard ver­ewigt zu wer­den, wurde ihm auch nicht zuteil.
  5. Ein groß­ar­ti­ger Ver­lag, den ich gar nicht oft genug loben kann.

Schrift und Skizze

Ein beson­de­res Skiz­zen­buch enstand aus der Zusam­men­ar­beit des Gestal­ters Ian Lynam und Aus­tin Whipple (Scout Books/Pinball Publi­shing).

Schrift und Skizze

In den drei 127 × 90 mm gro­ßen, sat­tel­ge­hef­te­ten Büchern des „Type Sketcher“-Sets fin­den Schrift­ge­stal­ter und ihre Sym­pa­thi­san­ten auf jeweils 32 Sei­ten Platz für ihre Entwürfe.

Schrift und Skizze

Auf­ge­teilt nach Groß­buch­sta­ben, Klein­buch­sta­ben sowie Zif­fern, Inter­punk­tion und Sym­bolen bie­tet der „Type Sket­cher“ auf sei­nen Umschlag­sei­ten Schrift­bei­spiele und Hin­weise auf wich­tige Details; zudem gibt es Deko­ra­ti­ves wie Zitate und Outlines.

Schrift und Skizze

Die Sei­ten haben ein Ras­ter mit einer Weite von einem zwölf­tel Inch und eine Kopf­zeile für die Kenn­da­ten des Schriftentwurfs.

Schrift und Skizze

Für mich ein schö­nes, unge­wöhn­li­ches Pro­dukt, das sich auch gut ander­wei­tig nut­zen lässt. – Die klei­nen, auch in den Fotos sicht­ba­ren Unre­gel­mä­ßig­kei­ten des Covers sehe ich nicht als Man­gel, son­dern als cha­rak­te­ris­tisch für den ver­wen­de­ten Karton.

Schrift und Skizze

Das „Type Sketcher“-Set gibt es bei Words­hape für 15 USD inkl. welt­wei­tem Versand.

Anm.: Aus mir uner­find­li­chen Grün­den wollte mir bei die­sen Fotos die Beleuch­tung nicht gelin­gen – nach vier Ver­su­chen bei Kunst- und Tages­licht habe ich es bei den letz­ten, lei­der unre­gel­mä­ßig ausge­leuchteten und nicht ganz schar­fen Fotos belassen.

Update vom 26.3.12: Pein­li­che Recht­schreib­feh­ler korrigiert.

Neuzeit

Manch­mal kommt es vor, dass ich etwas Ver­trau­tes plötz­lich ganz neu sehe – so auch vor weni­gen Tagen, als mein Blick auf die etwa 60 × 34 mm klei­nen Kar­ten des Spiels „RATE FIX“1 fiel.

Neuzeit

Bei all dem heute zumin­dest nach außen hin Per­fek­ten tun mir die klei­nen Män­gel und Ge­brauchsspuren gut, doch die Schrift gefällt mir am bes­ten. Es ist die Neu­zeit Gro­tesk2, hier im fet­ten (oder gar extra­fet­ten) Schnitt, ent­wor­fen 1929 von Wil­helm Pisch­ner und ge­gossen von der D. Stem­pel AG in Frankfurt/Main. Da galt „form fol­lows func­tion“ – eine kon­stru­ierte Schrift ohne beson­dere Merk­male, die in mei­nen Augen jedoch gerade da­durch ihren Reiz hat.

Neuzeit

Es gibt sie auch in digi­ta­ler Form, aber die Black-Variante von URW weicht lei­der vom Origi­nal ab3; die Schnitte Light und Bold Con­den­sed sind wohl die bei­den ein­zi­gen mit dem ursprüng­li­chen Charakter.

  1. Unsere ist eine alte, viel­leicht sogar die Ori­gi­nal­aus­gabe, und manch­mal denke ich, wir hät­ten diese schon immer gehabt.
  2. Danke an die Teil­neh­mer des Forums von Typografie.info für die rasche Iden­ti­fi­zie­rung!
  3. Man beachte z. B. das a.
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