Gestatten, Berthelt!

Gestatten, Berthelt!

Guten Tag, wer­tes Publi­kum, ich heiße Bert­helt. Mit einem Vor­na­men kann ich lei­der nicht die­nen, denn den gab mir mein Erzeu­ger, der Johann Faber aus Nürn­berg, wei­land größ­ter Blei­stift­her­stel­ler des Lan­des, nicht mit, nach­dem er mich vor, na, viel­leicht 90 Jah­ren im Süden Deutsch­lands in die Welt gesetzt hat. Ich bekam damals einen ele­gan­ten Man­tel in kräf­ti­gem Rot um, der zu mei­ner gro­ßen Freude mit sil­ber­far­be­nen Appli­ka­tio­nen ver­ziert wurde – dar­un­ter auch Schlä­gel und Eisen, was meine Bezie­hung zum Berg­bau zeigt –, und los ging’s.

Gestatten, Berthelt!

Auf­merk­sa­men Beob­ach­tern wird es bereits auf­ge­fal­len sein: Ziem­lich am Ende mei­nes Über­zie­hers prangt – einem Rang­ab­zei­chen gleich – „№ 2“, doch Ken­ner mei­nes Metiers wis­sen sehr genau, dass die Num­mer 2 in unse­rer Bran­che eigent­lich die Num­mer 1 ist. Die­sen Sach­ver­halt den Nicht-Fachleuten unter ihnen zu erklä­ren würde aber den Rah­men mei­ner kur­zen Vor­stel­lung spren­gen, und so muss ich lei­der dar­auf verzichten.

Auch wenn mein Auf­tre­ten auf man­che etwas höl­zern wir­ken mag, so kann ich ver­si­chern, dass sich in mei­ner glat­ten, zwei­ge­teil­ten Schale ein recht wei­cher Kern ver­birgt und ich mir nicht zu schade bin, mich für meine ver­ant­wor­tungs­volle Tätig­keit auf­zu­rei­ben. Als man mir damals eine glän­zende Kar­riere ankün­digte, hat man nicht zu viel ver­spro­chen, denn ich bin tat­säch­lich uni­ver­sell ein­setz­bar und mit dem Umgang jed­we­der Infor­ma­tion bes­tens ver­traut, mögen sie aus Zah­len, Buch­sta­ben oder sons­ti­gen Zei­chen bestehen, und in der Hand Kunst­schaf­fen­der ver­mag ich ebenso zu überzeugen.

Gestatten, Berthelt!

Glän­zend sind übri­gens auch die grau­schwar­zen Spu­ren, die mein tra­di­ti­ons­rei­ches Werk auf dem Papier zu hin­ter­las­sen ver­mag und denen weder Sonne noch Was­ser etwas anha­ben kön­nen. Ganz im Kon­trast zu mei­nem auf­fäl­li­gen Äuße­ren mische ich mich nicht in die Belange derer ein, die meine Dienste nut­zen, son­dern halte mich – wie es sich für mei­nen Stand gehört – vor­nehm zurück. Wer mich und mein Kön­nen in Anspruch nimmt, kann sich also ganz auf die die eige­nen kost­ba­ren Gedan­ken konzentrieren.

Ich glaube sagen zu kön­nen, dass ich mich für mein Alter her­vor­ra­gend gehal­ten habe – ich bin nicht aus dem Leim gegan­gen, und so sitzt mein schlich­ter Man­tel auch heute noch wie ange­gos­sen. Apro­pos Man­tel: Die­ses betagte Klei­dungs­stück ist von erstaun­lich hoher Qua­li­tät. Selbst nach den vie­len, zum Teil tur­bu­len­ten Jahr­zehn­ten ist sein Stoff weder ein­ge­ris­sen noch abge­grif­fen, und auch den attrak­ti­ven Auf­dru­cken sieht man die Jahre nicht an, so dass ich bestimmt nach wie vor eine sehr gepflegte Erschei­nung abgebe. Gewan­dun­gen die­ser Güte fin­det man heut­zu­tage recht sel­ten, aber das nur nebenbei.

Gestatten, Berthelt!

Der nahe­lie­gende Ein­druck, bei mei­nem anstren­gen­den Tage­werk würde ich auf Dauer abstump­fen, täuscht sehr, denn falls nötig, bringt mich die­ser komi­sche Kauz, in des­sen merk­wür­di­gem Pot­pourri ich mich hier prä­sen­tie­ren darf, wie­der schnell in Form. Doch wie es eine Lebens­auf­gabe so an sich hat, zehrt auch die meine an mir, so dass ich irgend­wann fast gänz­lich ver­schwun­den sein werde. Aber wer weiß – mög­li­cher­weise hat ja einer der geschätz­ten Anwe­sen­den mit­ge­schrie­ben, was ich hier erzählt habe, und bewahrt es damit für die Nachwelt.

Ich danke ihnen für ihre Auf­merk­sam­keit und emp­fehle mich.

7 Kommentare zu „Gestatten, Berthelt!“

  1. Noch­mal danke! :-)

    Bei mei­ner Suche nach dem Ursprung des Namens die­ses Blei­stifts bin ich ges­tern abend auf Fried­rich August Bert­helt gesto­ßen. Mey­ers Gro­ßes Konversations-Lexikon, Band 2 (Leip­zig 1905), aus dem diese Quelle zitiert, nennt ihn einen „Volks­schul­mann“ und erwähnt seine zahl­rei­chen Aktiv­tä­ten und Ver­öf­fent­li­chun­gen, mit denen er sich um das deut­sche Schul­we­sen ver­dient gemacht hat. Bert­helt wurde 1813 gebo­ren, wäre also 1913 100 Jahre alt gewor­den. Da der Blei­stift von Johann Faber aus die­ser Zeit stam­men könnte, würde es mich nicht wun­dern, wenn es da einen Zusam­men­hang gäbe.

  2. Ein inter­es­san­ter Arti­kel. Bin auf ihn gesto­ßen, da ich kürz­lich bei eBay ein Zwöl­fer­ge­binde mit Ban­de­role Bert­helt No. 1 erstan­den habe und etwas dazu her­aus­fin­den wollte.
    Über die Firma Johann Faber bin ich durch die Sher­lock Hol­mes Geschichte „Die drei Stu­den­ten“ gekom­men, bei der ein Johann Faber Blei­stift ein wich­ti­ges Indiz in einem Fall dar­stellte. Dabei dürfte es sich aller­dings nicht un einen Bert­helt gehan­delt haben, auch wenn die Beschrei­bung des Stif­tes von Doyle in der Geschichte nicht beson­ders aus­führ­lich ist. Den­noch inter­es­sant etwas über diese Stifte in einer Geschichte des aus­ge­he­n­en­den 19. Jahr­hun­derts zu lesen.
    Es gibt der­zeit übri­gens ein wei­te­res Zwöl­fer­ge­binde (dies­mal Bert­helt No. 2) bei ebay. Ich habe mei­nes für gerade mal 3 € erstan­den. Viel­leicht ist das für einen der Leser die­ses Blogs von Interesse.
    Warum ist eigent­lich die No. 2 die eigent­li­che No. 1 ?

    Gruß

    Tho­mas

  3. Glück­wunsch zu die­sem Fund! Einen solch alten und schö­nen Blei­stift fin­det man nicht alle Tage. – Danke für den Hin­weis auf die Geschichte und das eBay-Angebot (die Blei­stifte könn­ten sogar noch älter sein als dort angegeben).

    Wäh­rend die No. 2 die Härte kenn­zeich­net, so steht die No. 1 für den ers­ten Platz, den der Blei­stift die­ses Här­te­grads auf der Beliebt­heits­skala ein­nimmt, denn HB/2 ist die mit Abstand meist­ver­kaufte Härte (man­che Blei­stifte gibt es sogar nur in die­sem Här­te­grad). Aller­dings gibt es kei­nen Stan­dard, und so kann sich z. B. ein HB aus Japan (wei­cher) sehr von einem aus der Schweiz (z. B. Caran d’Ache, här­ter) unterscheiden.

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