Manchmal kommt es vor, dass ich etwas Vertrautes plötzlich ganz neu sehe – so auch vor wenigen Tagen, als mein Blick auf die etwa 60 × 34 mm kleinen Karten des Spiels „RATE FIX“1 fiel.
Bei all dem heute zumindest nach außen hin Perfekten tun mir die kleinen Mängel und Gebrauchsspuren gut, doch die Schrift gefällt mir am besten. Es ist die Neuzeit Grotesk2, hier im fetten (oder gar extrafetten) Schnitt, entworfen 1929 von Wilhelm Pischner und gegossen von der D. Stempel AG in Frankfurt/Main. Da galt „form follows function“ – eine konstruierte Schrift ohne besondere Merkmale, die in meinen Augen jedoch gerade dadurch ihren Reiz hat.
Es gibt sie auch in digitaler Form, aber die Black-Variante von URW weicht leider vom Original ab3; die Schnitte Light und Bold Condensed sind wohl die beiden einzigen mit dem ursprünglichen Charakter.
- Unsere ist eine alte, vielleicht sogar die Originalausgabe, und manchmal denke ich, wir hätten diese schon immer gehabt.↩
- Danke an die Teilnehmer des Forums von Typografie.info für die rasche Identifizierung!↩
- Man beachte z. B. das a.↩
Warum weichen denn die digitalen Versionen von Schriftarten oft vom Original ab? Technisch dürfte das doch nicht bedingt sein. Die einzigen Gründe die mir einfallen sind
-dass die Schrift entweder als nicht zeitgemäß empfunden wird und deshalb ‚angepasst‘ wird
-oder dass die an der Umsetzung beteiligten Person ihren eigenen Stil einbringen wollen.
@Matthias: Ich glaube, dass die von Ihnen genannten Gründe das Entscheidende sind. Ich selbst sammle gerne digitale Versionen von eleganten Bleidruckschriften. Leider weist jede, wirklich jede, von diesen Schiften teils kleine, teils größere Änderungen auf. Teilweise werden Ligaturen völlig vergessen, dann wird das lange-S einfach durch das kurze-S ersetzt (wohl weil der Ersteller der Schrift Amerikaner ist und es nicht kennt) und die Zahlen werden nicht mehr als Mediävalziffern (sehr ärgerlich!) umgesetzt. Da verpufft dann leider oftmals die Freude über die grad gekaufte digitale Version einer geliebten Schriftart.
Es ist wirklich schade, dass die digitalen Versionen abweichen – gerade der Verlust des ſ, der Ligaturen oder der Textziffern ist natürlich besonders schade. Warum URW bei der Neuzeit Grotesk aus dem doppelstöckigen a ein einstöckiges gemacht hat, ist mir völlig schleierhaft. – Ich weiß nichts von den rechtlichen Aspekten, aber könnte es nicht auch sein, dass man, wenn man die Rechte am Original nicht hat, ganz bewusst vom Original abweicht, um Probleme zu vermeiden?
..oder vielleicht ist es billiger. Ich habe mal gehört, dass es weniger Gebühren kosten soll die Rechte zu kaufen um ein Musikstück nachzuspielen, verglichen mit den Rechten das Original zu spielen. Deshalb ist angeblich die Hintergrundmusik in Werbung oft nachgespielt und nicht das Original.
Wenn es so wäre würde es mich aber wundern, dass der Originalname der Schriften verwendet werden darf. Eine gute Erklärung für dieses Phänomen könnten die rechtlichen Aspekte aber schon sein, denn ich gehe mal davon, dass die meisten, die in diesem Bereich arbeiten das nicht völlig leidenschaftslos machen und die Abweichungen vielleicht ja sogar selbst bedauern.
Apropos Mediävalziffern. Die fand ich in der alten Version von WordPress so gut. Schade, dass sie im Editor anscheinend nicht mehr Standard sind.
Sicher spielen hier auch noch länderspezifische Aspekte eine Rolle. Soweit ich weiß, kann man digitale Fonts in den USA nicht schützen lassen, so dass man nun versucht, sie als Software anzubieten; diese unterliegt einem besseren Schutz. Bei dem Namen wird es ähnlich sein, und wenn sie schon sehr alt sind, ist es möglicherweise gar nicht mehr möglich, sie zu schützen. – Aber ich bin kein Font-Experte.
Zu WordPress: Ich vermute, dass Du Dir den Font mit den Mediävalziffern zurückholen kannst, in dem Du das CSS für das Backend bearbeitest; vielleicht gibt es auch ein Plugin für diesen Zweck.
Das ist hier eher der fette, wenn nicht sogar extrafette Schnitt.
Danke für den Hinweis! Das klingt plausibel. – Ich habe den Beitrag korrigiert.