April 2012

Herr Zahl

Mir ist ein klei­ner Kerl ans Herz gewach­sen. Begeg­net bin ich ihm auf Seite 72 des Buches „deco­de­u­ni­code“1, wo er sich zusam­men mit sei­nen Kol­le­gen aus aller Welt prä­sen­tierte und mir sofort ins Auge fiel. Er wurde mir schlicht als „POSTAL MARK FACE“ vor­ge­stellt (sei­ne Berufs­be­zeich­nung, wie ich spä­ter erfuhr), und wenige Sei­ten spä­ter fand ich sein hei­teres Kon­ter­fei auf dem ihm zuge­wie­se­nen Platz U+3020 im Unicode-Standard.

Herr Zahl

Sein bür­ger­li­cher Name lau­tet ナンバー 君, denn er kommt aus Japan; über­setzt man die­sen, erhält man „Number-kun“ im Eng­li­schen und „Herr Zahl“2 im Deut­schen. Herr Zahl er­blickte 1968 das Licht der Welt und wurde schlag­ar­tig berühmt – so berühmt, dass ihm die japa­ni­sche Post gleich einige Brief­mar­ken wid­mete (die im Foto stam­men aus der Zeit zwi­schen 1968 und 1973).

Herr Zahl

Doch was war der Grund für sei­nen Ruhm? Es war die ver­ant­wor­tungs­volle Auf­gabe, die er unmit­tel­bar nach sei­ner Geburt über­nahm und die auch seine unge­wöhn­li­che Kopfbede­ckung erklärt.

Bis 1968 gab es in Japan keine Post­leit­zah­len. Als diese – zunächst drei­stel­lig – ein­ge­führt wur­den, brauchte man ein Sym­bol, das die Post­kun­den an den Gebrauch der ungewohn­ten Post­leit­zah­len erin­nert. Dazu nahm man das Zei­chen 〒3 und ergänzte es zu einem Ge­sicht; damit war Herr Zahl gebo­ren. Er nahm seine Auf­gabe 30 Jahre lang wahr und ging dann in den ver­dien­ten Ruhe­stand. Sein Nach­fol­ger im Amt war ポストン, Pos­ton, der 1998 die Umstel­lung auf die sie­ben­stel­li­gen Post­leit­zah­len beglei­tete und an ihre Verwen­dung gemahnte4.

Herr Zahl

Herr Zahl aber nimmt als Stem­pel auf mei­nem Schreib­tisch wei­ter­hin einen pro­mi­nen­ten Platz ein und erfreut mich beim Deko­rie­ren von Brief­um­schlä­gen und vie­lem mehr. – Offen­bar war auch der Ver­lag Her­mann Schmidt5 in Mainz, Her­aus­ge­ber des erwähn­ten Titels „deco­de­u­ni­code“, von Herrn Zahl sehr ange­tan, denn man hat ihm einen der dazu passen­den But­tons gewidmet.

Herr Zahl

Welch eine Karriere!

Nach­trag vom 20.6.13: Im Juli 1963, also vor 50 Jah­ren, trat Mr. Zip auf den Plan, um für den Gebrauch der US-amerikanischen Post­leit­zah­len, der ZIP-Codes, zu wer­ben: „Happy 50th Mr. Zip“ (via Brown Stu­dies).

Nach­trag vom 27.9.18: Mehr zum Zei­chen 〒 unter „The Story Behind Japan’s 〒 Pos­tal Logo“.

  1. Johan­nes Ber­ger­hau­sen, Siri Poar­angan: deco­de­u­ni­code – Die Schrift­zei­chen der Welt (Ver­lag Her­mann Schmidt 2011).
  2. Die des Japa­ni­schen Kun­di­gen mögen mir nach­se­hen, dass ich hier „-kun“ und „-san“ gleich­stelle; ich mache dies, weil wir im Deut­schen kein Pen­dant zu „-kun“ haben.
  3. Die­ses Zei­chen basiert auf der Katakana-Silbe テ (te), die sich vom Wort 逓信 (teis­hin), dt. Kom­mu­ni­ka­tion, ablei­tet. 〒 (Uni­code U+3012) ist das Bild­zei­chen der japa­ni­schen Post und wird zuwei­len der Post­leit­zahl vor­an­ge­stellt.
  4. Seine Dienst­mütze ist jedoch bei wei­tem nicht so schick, und die Ehre, im Unicode-Standard ver­ewigt zu wer­den, wurde ihm auch nicht zuteil.
  5. Ein groß­ar­ti­ger Ver­lag, den ich gar nicht oft genug loben kann.

Puck

Die „Gra­nate“ war sicher der bekann­teste, aber nicht der ein­zige Spit­zer von Möl­ler & Breit­scheid aus Köln.

Puck

Schlan­ker, nicht so mar­tia­lisch und in ver­wand­ter Form kam der „Puck“ daher, den es aus Mes­sing und Magne­sium gab.

Puck

Gut 21 mm lang und knapp 13 mm dick ver­schafft er Blei­stifte mit einem Durch­mes­ser von bis zu 8 mm einen Standard-Konus von 22° und geht dabei spar­sam, näm­lich mit einer Span­di­cke von durch­schnitt­lich 0,22 mm zu Werke.

Puck

Auch beim „Puck“ wird das Mes­ser durch zwei Stifte in Posi­tion gehal­ten, doch statt der von älte­ren Spit­zern bekann­ten Rändel- hat er bereits eine Schlitzschraube.

Puck

Die Ver­ar­bei­tungs­qua­li­tät ent­täuscht etwas, denn die Mate­ri­al­stärke am unte­ren Ende des Mes­sers ist so knapp dimen­sio­niert, dass sich ein Riss zeigt.

Puck

Das Spit­z­er­geb­nis des „Puck“ ist ähn­lich unge­wöhn­lich wie das der „Gra­nate 5“, da ein etwa 0,6 mm dün­ner Minen­zap­fen den Spit­zer verlässt.

Möller & Breitscheid

Der Name Möl­ler & Breit­scheid ist heute weit­ge­hend ver­ges­sen, doch im Rheinisch-Westfälischen Wirt­schafts­ar­chiv gibt es noch einige Unter­la­gen. Aus die­sen geht her­vor, dass die Kauf­leute Wil­helm Möl­ler und Ewald Breit­scheid ihr Unter­neh­men am 1. Mai 1869 in Köln gegrün­det haben. Durch ihre Freund­schaft zu dem Erfin­der der Kugel­spitz­fe­der Died­rich Leo­nardt1 aus Bir­ming­ham bestand ihre erste unter­neh­me­ri­sche Tätig­keit in der Ein­fuhr die­ser Federn nach Deutsch­land; zudem erhiel­ten sie den Allein­ver­trieb für Europa.

Wil­helm Möl­ler hei­ra­tete die Schwes­ter sei­nes Kom­pa­gnons und hatte mit ihr meh­rere Kin­der. Nach dem Tod Breit­scheids, der als Jung­ge­selle 1895 ver­starb, wurde zunächst der erste Sohn Eugen, spä­ter der zweite Sohn Oskar Inha­ber der Firma. Der erste starb 1907 und der zweite 1939; Gesell­schaf­ter in den 1950er Jah­ren war Fried­rich Wil­helm – genannt Fritz – Möller.

Ein Fra­ge­bo­gen von 1937, mit dem die Aus­fuhr von Blei­stift­spit­zern und Ersatz­mes­sern in zahl­rei­che euro­päi­sche Län­der und die USA bean­tragt wurde, belegt, dass das Unter­neh­men als offene Han­dels­ge­sell­schaft lief und vier kauf­män­ni­sche Ange­stellte sowie einen Arbei­ter beschäf­tigte. Er zeigt außer­dem, dass Möl­ler & Breit­scheid keine eigene Fer­ti­gung hatte und sich aus­schließ­lich mit dem Ver­trieb von Schreib­wa­ren und Büro­ar­ti­keln befasste. Ein wei­te­res For­mu­lar, ver­mut­lich aus der Kriegs­zeit, führt die Firma als Groß­han­del und erwähnt sechs Beschäf­tigte, aber keine Roh­ma­te­ria­lien. Es spricht also eini­ges dafür, dass die unter den Eigen­mar­ken „Gra­nate“ und „Puck“ ver­trie­be­nen Spit­zer von einem oder meh­re­ren ande­ren Unter­neh­men her­ge­stellt und von Möl­ler & Breit­scheid exklu­siv ver­trie­ben wur­den. – In den 1950er Jah­ren spiel­ten diese bei­den Spit­zer neben Spitz­ma­schi­nen eine Haupt­rolle im von Möl­ler & Breit­scheid ange­bo­te­nen Bürobedarf.

Ein Ein­trag im Han­dels­re­gis­ter vom 13. Januar 1975 belegt die Auf­lö­sung des zuletzt in Roden­kir­chen bei Köln ansäs­si­gen Unternehmens.

Danke an das Rheinisch-Westfälische Wirt­schafts­ar­chiv für diese Details!

Nach­trag vom 4.5.12: Das Waren­zei­chen­blatt des dama­li­gen Reichs­pa­tent­amts teilte in der Aus­gabe vom 31.3.1939 die Ein­tra­gung der Mar­ken „Puck“ (507555) und „Leonardt’s Kugelspitz-Feder“ (507556) mit:

Warenzeicheneintragung „Puck”

Warenzeicheneintragung „Leonardt's Kugelspitz-Feder”

Danke an das DPMA für die Scans!

Nach­trag vom 10.5.15: Das Buch „Ger­man Tool and Blade Makers. A guide to manu­fac­tu­r­ers and dis­tri­bu­tors, their trade­marks and brand names“ von John Wal­ter (Nevill Publi­shing 2012) ent­hält fol­gen­den Eintrag:

PUCK (1900, no. 42154)
Möl­ler & Breit­scheid, Köln a. Rh.
Regis­try class: 9b
Style: block 

Gut mög­lich, dass damit der hier gezeigte Spit­zer gemeint ist.

  1. Zuwei­len wird auch Fried­rich Soenne­cken als Erfin­der genannt.

Granate 5

Die „Gra­nate 5“ war die mei­nes Wis­sens letzte Ver­sion vor der aktu­el­len und sowohl bei Möl­ler & Breit­scheid als auch – mit ande­rer Bezeich­nung – bei Möbius+Ruppert1 im Programm.

Granate 5

Links: „Gra­nate 5“ von Möl­ler & Breit­scheid, rechts: „Gra­nate“ (M+R 604) von Möbius+Ruppert

Ange­sichts der Kenn­zeich­nun­gen „W.Z. № 507558“ an der Stift­öff­nung, „MB“ auf dem Mes­ser und „Gra­nate 5“ an der Spitze gehe ich davon aus, dass die­ses Exem­plar von Möl­ler & Breit­scheid2 aus Köln stammt.

Granate 5

Bei der Befes­ti­gung des Mes­sers zei­gen sich die größ­ten kon­struk­ti­ven Unter­schiede. Sorg­ten frü­her zwei kurze Stifte für den Form­schluss, so erle­digt dies heute eine Ver­tie­fung. Oben­drein wurde die Rändel- durch eine Kreuz­schlitz­schraube ersetzt, wobei letz­tere eine grö­ßere Stei­gung hat. Es fällt zudem auf, dass die Stift­öff­nung in der aktu­el­len „Gra­nate“ exzen­trisch sitzt, ver­mut­lich bedingt durch den Wunsch, das (0,5 mm län­gere) Mes­ser kom­plett zu ver­sen­ken und weder auf­sit­zen noch über­ste­hen zu las­sen. Die Länge des Spit­zers wurde von 26,5 mm auf 24,8 mm ver­rin­gert; der Durch­mes­ser blieb bei 15 mm. Es war eine gute Ent­schei­dung, die Rän­de­lun­gen fei­ner und die Ril­len zwi­schen ihnen schma­ler und fla­cher zu machen, denn dadurch wurde der Spit­zer gefäl­li­ger. – Einen Unter­schied im Spitz­win­kel konnte ich nicht feststellen.

Granate 5

Bei Gebrauch der „Gra­nate 5“ über­ra­schen zwei Dinge: Zum einem stauen sich die Späne3 hin­ter der Rän­del­schraube und zum andern ist die Geo­me­trie nicht opti­mal – ein 0,6 mm dün­ner Minen­zap­fen ver­lässt den Spit­zer mit einem spri­al­för­mi­gen Mus­ter. Da diese Spitze selbst bei einem här­te­ren Blei­stift sofort abbricht, gehe ich davon aus, dass dies nicht beab­sich­tigt war.

Granate 5

Test mit einem STAEDTLER Noris 120 (Zeder, alt)

Trotz die­ser Eigen­hei­ten ist die „Gra­nate 5“ im Gegen­satz zu manch ande­rem his­to­ri­schen Spit­zer auch heute noch zu gebrauchen.

Zur „Gra­nate“ siehe auch:

  1. Siehe das Modell 14/I von 1938 und die Prä­sen­ta­tion auf der Paper­world 2012, die eine weit­ge­hend ähn­li­che Form (wenn auch mit ande­rer Schraube) zeigt.
  2. Wann die­ses Unter­neh­men exis­tiert hat und wie alt die­ses Exem­plar sein könnte, weiß ich nicht; bis jetzt konnte ich nur her­aus­fin­den, dass der Her­stel­ler bis 1975 ein­ge­tra­gen war.
  3. Ein kur­zer Test an einem STAEDTLER Noris 120 (Jel­utong) hat gezeigt, dass der Span mit durch­schnitt­lich 0,19 mm außer­ge­wöhn­lich dünn, die „Gra­nate 5“ also sehr spar­sam ist.
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