Museum

Was ist Geschichte wert?

Einen inter­es­san­ten Ein­blick in die Arbeit am und mit dem Archiv von STAEDTLER bie­tet der bup­cast #5 „Archiv-Schätze“ der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­agen­tur für History-Marketing Birke und Part­ner unter dem Titel „Was ist Geschichte wert?“. Mit Britta Ender, Head of Brand & Com­mu­ni­ca­ti­ons bei STAEDTLER, spra­chen Dr. Bet­tina Fettich-Biernath und Peter Liszt.

Birke und Part­ner unter­stützt STAEDTLER bereits seit fünf Jah­ren beim Auf­bau, der Kon­ser­vie­rung und der Ver­füg­bar­ma­chung des Unter­neh­mens­ar­chivs. Dazu gehö­ren auch die Beant­wor­tung von Kun­den­an­fra­gen aus aller Wert und die Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Museen; zudem hat man 2020 beim Jubi­läum der Marke „Noris“ und 2022 bei der Neu­ge­stal­tung des unter­neh­mens­in­ter­nen Muse­ums mit­ge­wirkt. – Ein wei­te­res Pro­jekt von Birke und Part­ner für STAEDTLER war die Kam­pa­gne „Stifte Made from Upcy­cled Wood“.

Gründliche Leute

Seine gründ­li­chen Leute und deren Spitz­ma­schine 52/10 bewarb Faber-Castell 1971 mit die­ser ganz­sei­ti­gen Anzeige1.

Gründliche Leute

(Zuerst wollte ich schrei­ben „Die von den gründ­li­chen Leu­ten erdachte und gefer­tigte Spitz­ma­schine 52/10“, doch dann fiel mir auf, dass die Anzeige das gar nicht aussagt.)

Laut der Web­site Spitz­ma­schine2 hat Faber-Castell 1969/70 das Pro­gramm kom­plett über­ar­bei­tet und die Pro­duk­tion der bis­her aus Metall gefer­ti­gen Maschi­nen ein­ge­stellt. Statt­des­sen bot man nur noch zwei Modelle aus Kunst­stoff an, und zwar die 52/10 und die grö­ßere 52/15, wobei letz­tere einen Metall­zahn­kranz und eine Spit­zen­ein­stel­lung hatte3.

Die hier gezeigte 52/10 kam wohl eher von den gründ­li­chen Leu­ten in der Kal­ku­la­tion, aber das ist ja auch etwas. Die Gestal­tung4 der Anzeige finde ich indes gelungen!

  1. Sie erschie­nen im Maga­zin „DER SPIEGEL“, Aus­gabe 16/1971.
  2. Lei­der finde ich dort keine Quel­len­an­ga­ben.
  3. Inter­es­sant zu wis­sen wäre natür­lich, wer diese Maschi­nen her­ge­stellt hat (Dahle?).
  4. Im Text­block unten links ist der Abstand nach dem Komma zu groß, aber ich will nicht auch noch gründ­lich sein.

Sind sie’s, Herr Mohr?

Eine unge­wöhn­li­che Initiale fin­det sich im ers­ten Kapi­tel1 der Bro­schüre „Die Staedtler’schen Blei­stifte und ihr Ent­wick­lungs­gang“, die wohl aus den 1910er Jah­ren stammt.

Sind sie's, Herr Mohr?

Die Stämme des etwa vier­ein­halb Zen­ti­me­ter hohen „U“ sind – wen überrascht’s? – als Blei­stifte aus­ge­führt, wobei der eine mit dem wenige Jahre zuvor ein­ge­tra­ge­nen Mar­ken­na­men „MARS“ gekenn­zeich­net ist und der andere mit dem in die­sem Kon­text rät­sel­haf­ten „MOHR“, denn eine Marke die­ses Namens hatte STAEDTLER mei­nes Wis­sens nie.

Hat sich hier der Zeich­ner ver­ewigt, viel­leicht sogar mit grim­mi­gem Kon­ter­fei nebst qual­men­der Zigarre und Rie­sen­blei­stift? Da die Bro­schüre nicht ver­rät, wer an ihr mit­ge­wirkt hat, kann man nur mut­ma­ßen. Wie auch immer: Mir gefal­len die Details!

  1. Die ers­ten bei­den hier wie­der­ge­ge­be­nen Sätze finde ich übri­gens klasse.

Die Kunst der Kappe

Nach eini­gen geschicht­li­chen und tech­ni­schen Details des Hand­spit­zers heute ein kur­zer Blick auf die in mei­nen Augen sehr geschmack­volle Tauch­kappe des Tro­cken­mar­kers J.S. STAEDTLER MARS-OMNICHROM1.

Die Kunst der Kappe

Wäh­rend viele Tauch­kap­pen ein­far­big und viel­leicht noch – wie z. B. beim STAEDTLER Mars Lumo­graph – durch einen Zier­ring vom Schaft abge­setzt sind, gibt es hier gleich zwei Zier­ringe und ein Käpp­chen2. Neben die­sem Auf­wand ist auch die Ver­ar­bei­tungs­qua­li­tät beein­dru­ckend, denn die Lacke sind gleich­mä­ßig, deckend und glatt und die Kon­tu­ren scharf. – Das Alter der Stifte schätze ich auf etwa 60 Jahre. Diese Zeit ist an ihnen jedoch nicht spur­los vor­über­ge­gan­gen, und so zei­gen sich feine Risse im gel­ben, gold­far­be­nen und wei­ßen Lack sowie leichte Ver­fär­bun­gen in letz­te­rem; dem Reiz die­ser schö­nen Stü­cke tut das aber kei­nen Abbruch.

  1. Im Bild der 2421 mit gel­ber Mine. – Er war für den Ein­satz auf allen glat­ten Ober­flä­chen gedacht und ist mei­nes Wis­sens der Urahn des Lumo­co­lor omni­chrom 108.
  2. Die Bezeich­nun­gen sind manch­mal her­stel­ler­spe­zi­fisch. So nannte z.B. Lyra das gold­far­bene Käpp­chen bei sei­nen Stif­ten „Gold­ver­schluss“.

Das Messerbett

Es lohnt sich, Patent­do­ku­mente zu lesen. Indem sie jeden Aspekt einer Erfin­dung prä­zise dar­stel­len, schär­fen sie den Blick für kleinste Details. Sie zei­gen auch, wann und wie Dinge, die heute all­täg­lich sind, in die Welt gekom­men sind, und bei man­chen kann man sich nur schwer vor­stel­len, dass sie einst völ­lig neu waren.

Zu letz­te­ren gehört der heu­tige Hand­spit­zer1. Sein Auf­bau wirkt so ein­fach und nahe­lie­gend, dass man sich dar­über wun­dert, wie spät er kam und wie viele aus heu­ti­ger Sicht umständ­li­che Vor­rich­tun­gen zum Spit­zen von Blei­stif­ten ange­bo­ten und benutzt wur­den. Seine Bestand­teile wur­den jedoch getrennt erdacht und fan­den mit gro­ßem zeit­li­chen Abstand zuein­an­der; um einen davon geht es in die­sem Beitrag.

Das Messerbett

Am 20. Juni 1892 mel­dete Jonas R. Fos­ter aus Stone­ham (USA) seine Erfin­dung „Pencil-Sharpener“ beim United Sta­tes Patent Office an und am 28. Februar 1893 wurde sein Patent Nr. 492669 ver­öf­fent­licht2.

Das Messerbett

Hier fällt sofort das „Granate“-Design des abge­bil­de­ten Spit­zers3 auf, doch es geht nicht um die­ses, son­dern um die Befes­ti­gung des Mes­sers. Waren es bei der „Gra­nate“ (1891) und der US-amerikanischen Kopie „Peer­less“ (1892) zwei Schrau­ben, die das Mes­ser hiel­ten4, so hatte Fos­ter die Idee, es zu klem­men5. Dazu nutzte er zwei kleine Plat­ten, die ange­schraubt wur­den, wobei die erste (c) das Mes­ser in Posi­tion hielt und die zweite (d) es an den Spit­zer­kor­pus drückte. Bemer­kens­wert sind seine Anmer­kun­gen zur ers­ten Platte:

It is fur­ther obvious that ins­tead of forming the abut­ment on the plate c, against which the end of said blade abuts, such abut­ment may be for­med on the body a, but such slight varia­tion while coming within the spi­rit and scope of this inven­tion would increase the cost of manu­fac­ture, so that the con­s­truc­tion her­ein pro­vi­ded is I con­sider preferable.

(Her­vor­he­bung von mir.) Was Fos­ter hier vor­schlägt, sollte sich erst einige Jahr­zehnte spä­ter durch­set­zen, näm­lich die fla­che Aus­frä­sung im Spit­zer­kor­pus, die das Mes­ser auf­nimmt, durch Form­schluss am Ver­dre­hen hin­dert und heute als „Mes­ser­bett“ bezeich­net wird6.

Das Messerbett

Damals erschien es ihm jedoch zu teuer in der Fer­ti­gung, so dass er es bei der Erwäh­nung beließ7. – Ob Fos­ters Erfin­dung ver­mark­tet wurde und es andere Patente gab, die sich mit dem Mes­ser­bett befass­ten, bleibt zu klären.

Das Mes­ser­bett ist inzwi­schen üblich, aber es wäre inter­es­sant zu wis­sen, bei wel­chem Hand­spit­zer es zum ers­ten Mal genutzt wurde (die „Gra­nate“ bekam ihres erst in der zwei­ten Hälfte der 1970er Jahre).

Eine Son­der­form ist das kon­kave Mes­ser­bett. In die­sem wird das Mes­ser durch Anzie­hen der Schraube gekrümmt, was der Blei­stift­spitze eine unge­wöhn­li­che Form gibt. Es kam erst­mals 1935 mit dem A.W. Faber Janus 4046 auf den Markt und war etwa zur glei­chen Zeit auch beim Johann Faber Helios 5078 anzu­tref­fen; der 1965 ein­ge­führte Faber-Castell Janus 4048 (im Bild) hatte es ebenfalls.

Das Messerbett

Alle drei Modelle ver­füg­ten ein zwei­schnei­di­ges Mes­ser, doch nur der Janus 4048 bot eine Aus­spa­rung an der Kante des Mes­ser­betts, an dem das Mes­ser anlag, um Schä­den an der Schneide beim Befes­ti­gen des Mes­sers zu ver­mei­den. – Heute ist das kon­kave Mes­ser­bett nur noch beim M+R Pol­lux zu finden.

Nach­trag vom 18.8.23: Es gibt zur­zeit noch einen zwei­ten Hand­spit­zer mit kon­ka­vem Mes­ser­bett, und zwar den Black­wing One-Step Long Point Shar­pe­ner. Die­ser in China gefer­tige Behäl­ter­spit­zer hat einen Spritzguss-Einsatzspitzer mit ver­schraub­tem Mes­ser, das etwas weni­ger stark gekrümmt ist als das des Pol­lux. – Danke an Herrn Ehr­mann für den Hinweis!

  1. Es gibt natür­lich nicht den einen Hand­spit­zer; gemeint ist hier die prin­zi­pi­elle Bau­form mit kegel­för­mi­ger Boh­rung und voll­stän­dig auf­lie­gen­dem, ver­schraub­tem Mes­ser.
  2. Auf die­ses Patent hat mich mein Leser Wow­ter bereits 2016 auf­merk­sam gemacht.
  3. Ver­mut­lich hat Fos­ter die­sen Spit­zer des­halb gezeigt, weil es zu die­ser Zeit kei­nen ande­ren gab, an dem seine Erfin­dung hätte ange­wandt wer­den kön­nen.
  4. Das Patent zur Press­schraube und zwei Stif­ten von Möl­ler & Breit­scheid sollte erst am 30. Novem­ber 1892 – also gut fünf Monate spä­ter – ver­öf­fent­licht wer­den, so dass Fos­ter es noch nicht ken­nen konnte.
  5. Nach Anga­ben Fos­ters ist diese Klem­mung selbst­jus­tie­rend, doch da man das Mes­ser auch schief ein­klem­men kann, habe ich Zwei­fel daran. – Er erwähnt zudem, dass seine Erfin­dung dem Nut­zer die Jus­tage des Mes­sers erspart. War diese wirk­lich nötig?
  6. Man­che der heu­ti­gen Mes­ser­bet­ten sind aller­dings gerad­li­nige Anschläge und nicht so weit umschlie­ßend wie das der „Gra­nate“.
  7. Auf eine mög­li­che Ein­spa­rung bei der Her­stel­lung des Mes­sers, das durch die Klem­mung klei­ner sein konnte und keine Löcher brauchte, ging Fos­ter nicht ein, ebenso wenig auf die Mög­lich­keit der Nach­rüs­tung.

Die Pressschraube

Ein cha­rak­te­ris­ti­sches Merk­mal des als „Gra­nate“ bekann­ten Hand­spit­zers habe ich bis­her nur neben­bei erwähnt, näm­lich die Befes­ti­gung des Mes­sers mit einer Rän­del­schraube und zwei Stif­ten. Diese war – wenn auch nicht von Anfang an – viele Jahr­zehnte üblich, zeich­net die meis­ten der heute noch anti­qua­risch erhält­li­chen Exem­plare aus und ist mei­nes Wis­sens bei kei­nem ande­ren Spit­zer zu fin­den. Doch wann und durch wen kam es dazu? Ant­wor­ten dar­auf lie­fert die­ser Beitrag.

Mit sei­nem am 15. April 1891 ver­öf­fent­lich­ten Patent „Neue­rung an Blei­stift­spit­zern“ erfand Ewald Breit­scheid den Spit­zer, der ab 1901 „Gra­nate“ hei­ßen sollte. Die­ser hatte eine koni­sche Boh­rung und – das war neu – ein voll­stän­dig auf­lie­gen­des Mes­ser, das sich bei Gebrauch nicht abhob, gegen Ver­dre­hen gesi­chert war und zum Schlei­fen oder Aus­tausch leicht abge­nom­men wer­den konnte. Damit kann die „Gra­nate“ als Urform des moder­nen Hand­spit­zers gese­hen werden.

Ein­ein­halb Jahre nach dem Patent Ewald Breit­scheids folgte ein wei­te­res zum Spit­zer, dies­mal unter dem Namen des Unter­neh­mens, das er und Wil­helm Möl­ler 1869, also 23 Jahre zuvor, in Köln gegrün­det hat­ten. Am 22. Juli 1892 mel­de­ten sie beim Schwei­ze­ri­schen Eid­ge­nös­si­schen Amt für geis­ti­ges Eigen­tum ihre Erfin­dung „Blei­stift­spit­zer mit aus­wech­sel­ba­rem durch Press­schraube und Stell­stifte gehal­te­nem Mes­ser“ an und am 30. Novem­ber 1892 wurde ihr Patent Nr. 5335 veröffentlicht.

Die Pressschraube

In der Patent­schrift wird die Erfin­dung wie folgt beschrie­ben1:

Der in der Zeich­nung dar­ge­stellte Blei­stift­spit­zer, Fig. 1, besteht aus einem mit Län­gen­aus­schnitt a ver­se­he­nen Dreh­kör­per b, bei wel­chem auf der einen Seite des Aus­schnit­tes ein Mes­ser c ange­ord­net ist, wel­ches durch eine Press­schraube d fest auf die Auf­la­ge­flä­che gedrückt und durch zwei Stell­stifte e in sei­ner Lage gesi­chert wird. Das Mes­ser kann bei die­ser Anord­nung nach Stumpf­wer­den, resp. nach dem bei wie­der­hol­tem Schlei­fen ein­tre­ten­den Schmä­ler­wer­den nach Ablö­sung der Press­schraube d ent­fernt und gegen ein neues Mes­ser, Fig. 2, aus­ge­wech­selt wer­den, wobei die­ses dann mit­telst der Stell­stifte e ohne jede Regu­li­rung sofort die rich­tige Schneid­lage erhält.

Die Pressschraube

Beim Blick auf die Zeich­nung über­ra­schen die Pro­por­tio­nen; ich denke nicht, dass sie der Rea­li­tät ent­spra­chen. – Die bei­den Schrau­ben wur­den also durch eine Press­schraube2 und zwei Stell­stifte ersetzt. Der Patent­an­spruch fasst es zusammen:

Ein Blei­stift­spit­zer, bei wel­chem in dem Aus­schnitt a des durch einen Dreh­kör­per b gebil­de­ten Gehäu­ses ein aus­wech­sel­ba­res Mes­ser c ange­ord­net ist, wel­ches durch eine Press­schraube d gegen Abhe­ben und durch einen oder meh­rere Stell­stifte e gegen Sei­ten­be­we­gun­gen gesi­chert ist.

Hat­ten vor­her zwei Schrau­ben sowohl für den Kraft- als auch den Form­schluss gesorgt, so über­nah­men die bei­den Stifte letz­te­ren und die Press­schraube drückte nur das Mes­ser an. Zudem ließ sich das Mes­ser leich­ter abneh­men, da statt zwei Schrau­ben nur noch eine gelöst wer­den musste und für diese oben­drein kein Werk­zeug nötig war3.

Und wie pas­sen die­ses Patent und die Mel­dung vom 17. Novem­ber 1892 zusam­men, nach der die Boyd & Abbot Com­pany den in den USA als „Car­tridge“ bekann­ten Spit­zer ver­bes­sert und mit einer „thumb­s­crew“ – also ver­mut­lich Rän­del­schraube – aus­ge­stat­tet hat? Sie erschien keine zwei Wochen vor der Ver­öf­fent­li­chung des Patents von Möl­ler & Breit­scheid, und so hatte man offen­bar unab­hän­gig von­ein­an­der die glei­che Idee (für einen Ver­gleich müsste man natür­lich die Details der Ände­rung durch Boyd & Abbot kennen.)

Die Presschraube

Der Umstand, dass bei die­ser „Gra­nate“4 die Boh­run­gen im Mes­ser deut­lich grö­ßer sind als die Stifte, könnte Zwei­fel am Form­schluss auf­kom­men las­sen. Wich­tig ist aber nur, dass das Mes­ser daran gehin­dert wird, der beim Spit­zen wir­ken­den Kraft aus­zu­wei­chen, sich also vom Blei­stift radial weg­zu­be­we­gen, und das ist gewähr­leis­tet. – Inter­es­sant zu wis­sen wäre, ob man das Mes­ser dadurch etwas dicker machen musste, weil es nur noch in der Mitte gehal­ten wurde und prin­zi­pi­ell die Mög­lich­keit bestand, dass es sich an den Enden zumin­dest leicht anhob.

Die Funk­tion der Stifte über­nahm spä­ter das Mes­ser­bett, was auch die Her­stel­lung des Mes­sers ver­ein­fachte. Die Schraube aber ist geblie­ben5, und so lebt in jedem heu­ti­gen Hand­spit­zer mit ver­schraub­tem Mes­ser die Press­schraube von Möl­ler & Breit­scheid aus dem Jahr 1892 weiter.

  1. Die Schrei­bung ent­spricht der im Patent­do­ku­ment.
  2. Ich benutze die Begriffe „Press­schraube“ und „Rän­del­schraube“ syn­onym. Der erste beschreibt die Funk­tion und der zweite die Form, und auch wenn „Press­schraube“ heute nicht mehr üblich ist, bleibe ich im Zusam­men­hang mit dem Patent dabei.
  3. Ich habe auch schon Exem­plare der „Gra­nate“ gese­hen, deren Schraube gerän­delt und geschlitzt war.
  4. Sie trägt die Kenn­zeich­nung „W.Z. № 507558“, die auf das 1939 ein­ge­tra­gene Waren­zei­chen von Möl­ler & Breit­scheid hin­weist. – Sehr ähn­lich war das Modell 14/I von Möbius+Ruppert aus dem Jahr 1938.
  5. Ihre Form hat sich jedoch über die Jahr­zehnte geän­dert, denn nach der Rändel- kam zunächst eine Schlitz- und dann eine Kreuz­schlitz­schraube (siehe „Gene­ra­tio­nen­tref­fen).

Dünne Stifte von damals

Aus einem Kon­vo­lut alter Blei- und Kopier­stifte von von J.S. STAEDTLER: Drei sehr schlanke und wohl gut 100 Jahre alte Exemplare.

Dünne Stifte von damals

Die 15 cm lan­gen und 6 mm dün­nen Stifte waren ver­mut­lich für den Gebrauch mit einem Notiz­buch gedacht, wobei man sie in des­sen Rücken oder einer Schlaufe unter­brin­gen konnte; die soge­nannte Tel­ler­kap­sel beim № 907 ver­hin­derte das Durch­rut­schen. – Der Prä­ge­druck ist bemer­kens­wert aus­führ­lich und sorgfältig.

Dünne Stifte von damals

Zum Grö­ßen­ver­gleich ein J.S. STAEDTLER MARS-LUMOGRAPH 2886

Der Här­te­grad der 2 mm dicken Blei­stift­mi­nen ent­spricht etwa dem des STAEDTLER Mars Lumo­graph 100 HB. Die eng­li­sche Kenn­zeich­nung des gel­ben Kopier­stifts LUNA 783 mit der teil­weise kor­ro­dier­ten Kappe lässt ver­mu­ten, dass er für den Export vor­ge­se­hen war. Sein Ver­wen­dungs­zweck ist mir jedoch unklar, denn sei­nen Abstrich kann man zumin­dest auf wei­ßem Papier nur schwer erkennen.

Ein wei­te­rer Hin­weis auf die Nut­zung die­ser Stifte fin­det sich in der Bro­schüre „Die Staedtler’schen Blei­stifte und ihr Ent­wick­lungs­gang“ (ver­mutl. 1910er Jahre), denn darin wird der „Brief­ta­schen­stift Nr. 912 mit Spit­zen­scho­ner“ aufgeführt.

Dünne Stifte von damals

Er ist dem „Memo­ran­dum“ im Foto sehr ähn­lich, hat aber keine Metallkapsel.

Sol­che dün­nen Blei­stifte sind heute nicht mehr üblich. Zu den noch erhält­li­chen gehö­ren der Viking Mikado und der L. Cor­ne­lis­sen Slim HB, doch eine über­ra­schend große Aus­wahl bie­tet der por­tu­gie­si­sche Her­stel­ler Viarco, der in sei­nem umfang­rei­chen Werbemittel-Sortiment auch dünne runde und hexa­go­nale Blei­stifte in vier Durch­mes­sern von 3,9 bis 5,5 mm und vier Län­gen von 9 bis 18 cm hat. – Ähn­li­che Blei­stifte gibt es unter „Memo­ran­dum“, „Rank und schlank“ sowie „L. & C. Hardt­muth 1516“ zu sehen.

Der Ursprung der „Granate“

Ein neuer und in mehr­fa­cher Hin­sicht bemer­kens­wer­ter Fund zur Geschichte des Hand­spit­zers „Gra­nate“ führt in das Jahr 1890 und damit noch wei­ter zurück als bisher.

Am 6. Okto­ber 1890 mel­dete Ewald Breit­scheid aus Köln beim Schwei­ze­ri­schen Eid­ge­nös­si­schen Amt für geis­ti­ges Eigen­tum seine Erfin­dung „Neue­rung an Blei­stift­spit­zern“ an und am 15. April 1891 wurde sein Patent Nr. 2894 veröffentlicht.

Der Ursprung der „Granate“

Darin heißt es ein­lei­tend1:

Der nach­fol­gend beschrie­bene neue Blei­stift­an­spit­zer ist dadurch cha­rak­te­ri­sirt, dass er dem Mes­ser, wel­ches zum Zwe­cke des Schlei­fens leicht abge­nom­men und wie­der ange­setzt wer­den kann, eine voll­stän­dig feste Auf­la­ge­flä­che bie­tet, so dass das Mes­ser beim Schnei­den nicht vibri­ren kann und eine schöne glatte Flä­che herstellt.

Das Doku­ment schließt mit dem Patentanspruch:

Ein Blei­stift­an­spit­zer, bestehend aus dem mit koni­scher Boh­rung k und Sei­ten­aus­schnitt e, d ver­se­he­nen Gehäu­se­man­tel a, des­sen Aus­schnitt so ange­ord­net ist, dass der­selbe eine zur Boh­rung des Konus k nahezu tan­gen­tial ver­lau­fende Flä­che d besitzt, auf wel­cher das Mes­ser f durch Schrau­ben g, h befes­tigt ist.

Der paten­tierte Spit­zer ist also der erste, der über ein voll­stän­dig auf­lie­gen­des Mes­ser ver­fügt. Die koni­sche Boh­rung wird zwar nicht als für die Erfin­dung cha­rak­te­ris­tisch auf­ge­führt, aber im Patent­an­spruch erwähnt (ob der Schutz auch für diese galt, bezweifle ich, denn mei­nes Wis­sens gab es sie bereits 1852 beim „Pen­cil Cut­ter and Shar­pe­ner“ von A. Marion & Co.2). Damit hat Ewald Breit­scheid den moder­nen Hand­spit­zer erfun­den3.

Die Beschrei­bung des Spitz­vor­gang könnte – abge­se­hen von der Schreib­weise – heute ver­fasst wor­den sein:

Beim Ein­füh­ren eines neuen Blei­stifts in die Boh­rung i gelangt das­selbe zuerst an den unte­ren Theil der Schneid­kante des Mes­sers f und wird nun durch Dre­hen und Hin­ein­drü­cken in den Konus k ver­jüngt und zuge­spitzt, so dass es immer tie­fer in den Konus k hin­ein­dringt und von einem immer grö­ße­ren Theil des Mes­sers bear­bei­tet wird.
Nach­dem das Holz des Bleis dann in die­ser Weise den gan­zen Konus durch­lau­fen hat, gelangt die Blei­ein­lage allein in die Durch­boh­rung l und wird nun hier von dem obers­ten Theil der Schneid­kante völ­lig zuge­spitzt, womit die ganze Ope­ra­tion been­det ist.

Und wie sah der Spit­zer aus? Diese Zeich­nung gibt Aufschluss.

Der Ursprung der „Granate“

Das ist die Geburts­ur­kunde des Spit­zers, der gut zehn Jahre spä­ter den Mar­ken­na­men „Gra­nate“4 bekom­men und unter die­sem bekannt wer­den sollte.

Moment, wer­den jetzt einige sagen, das Patent stammt doch aus der Schweiz, und Ewald Breit­scheid kam aus Deutsch­land. Gab es kein deut­sches Patent? Nein, das gab es nicht, denn die Jahre von 1884 bis 1894 waren eine patent­amts­lose Zeit in Deutsch­land, und so wichen Erfin­der auf benach­barte Län­der aus. Beliebt waren die Schweiz und Däne­mark, und so kam Ewald Breit­scheid zu einem Schwei­zer Patent (der Schutz bestand dann auch nur in der Schweiz).

Für die Posi­tio­nen und die voll­stän­dige Beschrei­bung ver­weise ich auf das Patent­do­ku­ment, doch zwei Punkte seien her­vor­ge­ho­ben, da diese schon recht bald nach Ertei­lung des Patents geän­dert wurden:

  • Der Aus­schnitt im Kör­per des Spit­zers ist recht­wink­lig, wobei die eine Flä­che bei­nahe senk­recht und die andere nahezu tan­gen­tial zur koni­schen Boh­rung verläuft.
  • Zu den bei­den Schrau­ben, mit denen das Mes­ser befes­tigt ist, wird vor­ge­schla­gen, dass man sie „zweck­mä­ßig etwas groß macht und an der Seite des Kop­fes mit klei­nen Rie­fen oder Ril­len ver­sieht, damit man sie und somit auch das Mes­ser ein­fach durch Hand lösen und ent­fer­nen kann“.

Gegen Ende geht es um die Gestal­tung für eine sichere Hand­ha­bung des Spitzers:

Um den Blei­stift­an­spit­zer beim Arbei­ten gut hal­ten zu kön­nen, ist der­selbe auf der äus­se­ren Flä­che mit Hohl­keh­len und kreuz­weise ange­ord­ne­ten Rie­fen oder Ril­len ver­se­hen, wie diess Fig. 1 und 2 zeigt; doch kann natür­lich für die­sen Zweck auch jede belie­bige andere Methode gewählt werden.

Damit kam – eigent­lich neben­bei – ein typi­sches Merk­mal der „Gra­nate“ in die Welt, das seit­dem unver­än­dert ist, näm­lich die vier Rän­de­lun­gen5. Auch die für die Funk­tion des Spit­zers eben­falls nicht not­wen­dige Ver­jün­gung am Ende blieb erhalten.

Wäh­rend also der zen­trale Aspekt des paten­tier­ten Spit­zers – das voll­stän­dig auf­lie­gende Mes­ser – zum Stan­dard wurde, ist sein Design, das nicht zum Patent­an­spruch gehörte, auch heute noch etwas Einzigartiges.

Han­delt es sich bei der unter „Reise ins 19. Jahr­hun­dert“ gezeig­ten „Gra­nate“ um das ursprüng­li­che Modell? Vie­les spricht dafür.

Der Ursprung der „Granate“

Es fällt jedoch sofort auf, dass das Mes­ser und die Schrau­ben­köpfe etwas anders geformt sind. Ich kann mir vor­stel­len, dass die untere Ecke des Mes­sers stö­rend über die Rän­de­lung her­aus­ge­ragt hat und und daher schon früh abge­run­det wurde6. Bei den Schrau­ben wird man schnell erkannt haben, dass sie auf­grund ihrer Größe selbst mit Ril­len nicht gut von Hand zu betä­ti­gen sind, und hat sie ein­fa­cher ausgeführt.

Der Ursprung der „Granate“

Beim Blick auf den Stift­ein­lass in der Zeich­nung über­rascht des­sen gerin­ger Durch­mes­ser. Mich würde nicht wun­dern, wenn er zu klein gera­ten wäre, denn der gra­fisch ermit­telte Spitz­win­kel beträgt gerade ein­mal 14°7. Alle ande­ren Maße stim­men pro­por­tio­nal weit­ge­hend mit denen der alten „Gra­nate“ überein.

Und wie unter­schei­det sich die aktu­elle von der Ur-„Granate“?

Der Ursprung der „Granate“

Die moderne „Gra­nate“, heute von Möbius+Ruppert in Erlan­gen gefer­tigt, ist mit 15 mm genau so dick wie die alte, aber bei fast gleich­lan­gem Mes­ser 5 mm kür­zer und etwa 20% leich­ter. Das Mes­ser liegt in einem Bett8, so dass es durch Form­schluss vor dem Ver­dre­hen geschützt ist und eine Schraube aus­reicht. Der Aus­schnitt ist 120° statt 90° groß, wodurch die Späne bes­ser abflie­ßen kön­nen, und durch die drei­mal so große Aus­tritts­öff­nung las­sen sich Holz- und Minen­reste leich­ter ent­fer­nen. Die Rän­de­lun­gen sind etwas fei­ner und die Nuten schma­ler und fla­cher, so dass der Spit­zer gefäl­li­ger ist; dazu trägt auch das bün­dig abschlie­ßende Mes­ser bei. Doch trotz die­ser Ver­bes­se­run­gen ist ihr Cha­rak­ter geblie­ben, und so hätte man die neue „Gra­nate“ auch 1891 sofort erkannt9.

Wie so oft blei­ben Fra­gen. Wer hat den Spit­zer von Ewald Breit­scheid damals her­ge­stellt?10 Gibt es deutsch­spra­chige Ver­öf­fent­li­chun­gen aus der dama­li­gen Zeit, in der für ihn gewor­ben wurde? Wel­che Erfah­run­gen und Über­le­gun­gen führ­ten wann zu den kon­struk­ti­ven Ände­run­gen?11

Auch wenn die zen­trale Frage zur Geschichte der „Gra­nate“ jetzt beant­wor­tet sein dürfte12, so bleibt es doch interessant!

  1. Die Schrei­bung ent­spricht der im Patent­do­ku­ment.
  2. Damit ist die Behaup­tung im Stadt­le­xi­kon des Stadt­ar­chivs Erlan­gen wider­legt, Theo­dor Paul Möbius (1868–1953) habe im Jahr 1908 den kegel­för­mig gebohr­ten Blei­stift­spit­zer erfun­den.
  3. Zuwei­len wird Wal­ter Kitt­redge Fos­ter aus Ban­gor, Maine (USA) als Erfin­der des Hand­spit­zers bezeich­net, doch sein an einen Ker­zen­lö­scher erin­nern­des Gerät aus dem Jahr 1855 (man­chen Quel­len zufolge 1851) hatte keine koni­sche Boh­rung und ein ein­ge­gos­se­nes Mes­ser.
  4. Eine zweite Anmel­dung des Namens erfolgte 1939.
  5. Oder die Rän­de­lung mit drei Nuten (der Begriff „Hohl­kehle“ passt mei­ner Ansicht nach hier nicht). – Spä­tere Vari­an­ten der „Gra­nate“ für dickere Stifte hat­ten nur drei Rän­de­lun­gen.
  6. Viel­leicht geschah dies auch erst durch den Benut­zer; die etwas unsau­bere Ver­run­dung könnte dafür spre­chen.
  7. Zum Ver­gleich: Der Spit­zer mit dem zur­zeit kleins­ten Win­kel, der KUM Mas­ter­piece, kommt auf 16°.
  8. Auf­grund der durch das Bett geän­der­ten Lage des Mes­sers sitzt der Stift­ein­lass, der immer noch einen Durch­mes­ser von 8 mm hat, außer­mit­tig.
  9. Die hel­len Stel­len las­sen ver­mu­ten, dass die alte „Gra­nate“ eben­falls aus Mes­sing ist (die Patina werde ich nicht ent­fer­nen). – Hin und wie­der liest man, die alte „Gra­nate“ wäre aus Muni­tion gefer­tigt wor­den, doch das ist natür­lich Unsinn.
  10. Man kann davon aus­ge­hen, dass Möl­ler & Breit­scheid den Spit­zer nur ver­trie­ben, aber nicht pro­du­ziert hat, denn das von Wolf­gang Möl­ler und Ewald Breit­scheid 1869 gegrün­dete und 1975 auf­ge­löste Unter­neh­men lief als Schreibwaren-Großhandel und hatte keine eigene Fer­ti­gung.
  11. Hat man den Aus­schnitt ver­grö­ßert, um die Späne leich­ter abflie­ßen zu las­sen oder um die spä­ter genutzte Rän­del­schraube bes­ser grei­fen zu kön­nen? Warum sind jetzt beide Sei­ten des Aus­schnitts geneigt? Wurde der Stift­ein­lass und dadurch der ganze Spit­zer ver­kürzt, weil man fest­ge­stellt hat, dass der Blei­stift auch so aus­rei­chend geführt wird und man damit Mate­rial spa­ren konnte? Warum hat man die Aus­tritts­öff­nung grö­ßer gemacht?
  12. Damit ist mein Bei­trag zur „Gra­nate“ im Buch Sta­tio­nery Fever“/„Schreibwaren“ (2016) in Tei­len über­holt.
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